st. adelheidis

 

 

... statue in der kapelle am adelheidis-brunnen in pützchen

 

m/eine prozession der erkenntnis

die heilige adelheid hat mir die augen geöffnet, so habe ich es empfunden, und das ist nicht direkt ein großes wunder, sondern eher ein(e) prozess(ion) der erkenntnis. also, eins nach dem anderen. die geschichte begann damit, dass ich mir morgens im bonner general-anzeiger den bericht über pützchens markt ansah. besonders das foto eines karussells zog mich in seinen bann, nicht so eines `normalen´, sondern eines karussells, das sich an einem 60 meter hohen stahlmast hochzieht und in schwindelnder höhe die besucher in den abendhimmel schraubt. beim betrachten der abbildung wurde mir klar, welche veraltete vorstellung von karussell ich hatte, nämlich die auf diesem foto eines vorkriegs-ketten-karussells (!) auf einer königswinterer kirmes in den frühen 50er jahren. ich bin übrigens neben meiner großmutter (mit tasche, auf die ich später noch kommen werde) und meiner mutter der junge im mittelgrund.

 

... aus dem familienalbum, foto: willi burgdorf

 

zur entstehung dieses mehr oder weniger misslungenen fotos meines großvaters muss ich kurz beschreiben, wie dieses motiv als ideal-foto in seinem sinne ausgesehen hätte, wenn nicht immer wieder kirmesbesucher in das bild gelaufen wären. es sollte bei dem sich drehenden karussell im vordergrund das prächtigste, nämlich der schwan, zu sehen sein. im hintergrund sollte man sehen, wo die kirmes stattfand, eben in königswinter unterhalb des drachenfelses. dann war da die stramm aufgestellte familie (außer dem fotografen hinter der kamera) wichtig, nämlich die personen, deren besuch der königswinterer kirmes als ausflugsziel für das familienalbum dokumentiert werden sollte. ganz schön durchdacht dieser motivaufbau, zu lösen wäre er nur gewesen, wenn man den kirmesplatz bis auf einige gut platzierte statisten für besucher abgesperrt hätte, dann wäre man in der lage gewesen, die kamera sorgfältiger auszurichten und hätte das foto nicht in aller eile zum boden hin verrissen.

 

... angstzentrifuge

 

während ich mir also das zeitungsfoto des neuartigen karussells an seinem 60 meter hohen stahlmast ansehe, muss ich erkennen, wie die entwicklung des karussells in den letzten fünfzig jahren raketenartig zum himmel geschossen ist und ich rein gar nichts davon mitbekommen habe. außerdem stelle ich mir vor, mit was für intergalaktischen karussells wohl unsere kindeskinder bei ihren kirmesbesuchen in 50 jahren unterwegs sein werden.

 

... ein bilderreigen


ganz wichtig scheint mir bei der traditionellen karussellform die bemalung des oberen und des zentralen karussell-korpus zu sein, die beim drehen mit vielen unterschiedlichen schnell vorbeiziehenden motiven ein visuell-rauschhaftes erlebnis entstehen lassen. dazu kommen noch ´multimediale´ verstärkungselemente wie spiegel, ornamente, skulpturen, beleuchtung, orgelmusik, usw..

 

das pützchen

 

... der brunnenbezirk in pützchen

 

in den fünfziger jahren gehörte zu einem kirmesbesuch in pützchen auch der besuch der aldelheidis quelle dazu. viele besucher umstanden nach meiner erinnerung den quellbereich und wir mussten anstehen, bis wir die stufen zum quellrohr hinabsteigen konnten. meine großmutter öffnete ihre ledertasche, nahm ein weißes spitzentaschentuch heraus und hielt es in den wasserstrahl. anschließend drückte sie das tuch auf meine und ihre augen und sprach mit mir darüber, was für eine wohltuend heilende wirkung dieses st. adelheidis-wasser für meine und ihre augen hätte. meine frage, warum das so wäre, wurde mir mit einer reihe von wundersamen heilungen durch dieses wasser beantwortet. ungläubig betastete ich meine augen, es hatte sich aber irgendwie nichts an ihnen und meinem sehvermögen geändert.

 

... der wundertätige brunnen

 

an den inhalt dieser eckigen ledertasche meiner großmutter kann ich mich noch gut erinnern: neben dem spitzentaschentuch war ein ungefähr 4cm großes nicht mehr ganz vollständiges holzkreuzchen darin enthalten, das meiner großmutter in den letzten monaten des zweiten weltkriegs bei mehreren ´berliner bombennächten´ beigestanden hatte, dann ein heiligenkärtchen mit einem gebet darauf, ein rosenkranz, ein kleines fläschchen 4711 und ein blau-rot bedrucktes papiertütchen mit zwei, drei keksen darin gegen auftretenden plötzlichen ´heißhunger´, wie es meine großmutter nannte.

 

gebet und handel

 

... objet trouvé

 

pützchens markt ist aus der wallfahrt zur hl. adelheid von vilich hervorgegangen, die der legende nach um 1000 n. chr. während einer zeit großer trockenheit auf gottes wunsch die bevölkerung und das vieh vor dem verdursten bewahrt haben soll.
bei einer bittprozession über die vertrockneten felder des stiftes vilich, dessen äbtissin adelheid war, stieß sie mit ihrem äbtissinnenstab in den boden und fand eine quelle.
bereits zu lebzeiten wurde die äbtissin wegen ihres einsatzes für arme und kranke verehrt.
schon bald nach ihrem tode pilgerten viele gläubige zu ihrem grab und zu der quelle, an denen zahlreiche wunder geschehen sein sollen.
aus diesen prozessionen und dem sich im umfeld durch die zeit entwickelnden devotionalienhandel und markt hat sich pützchens markt entwickelt.

 

... reisebekanntschaften

 

des knaben pilgerfahrt

(ausschnitt)

eine fahrt zu pützchens markt war schon ein abenteuer. an der straßenbahn-haltestelle hochkreuz fuhr die straßenbahn aus mehlem kommend mit dem badewannenwagen in der mitte, heute würde man ihn wohl niederflurwagen nennen, vor. ein wagen mit einer breiten portal-türe, die knallend aufgeschlagen wurde und einem inneren, dass man fast ebenerdig vom bahnsteig aus betreten konnte. der blick in den wagen ließ mich erstaunen: eine weite plattform breitete sich vor mir aus mit vielen an der decke schaukelnden festhalteschlaufen. der boden des wagens bestand aus grauem abgetretenem holzparkett, möglicherweise als fischgrät-muster verlegt. ein schaffner in dunkler uniform, der herr des wagons, bediente, als alle fahrgäste eingestiegen waren, den kabelzug, der an der decke zum geläut verlief, dem klingenden anfahrtszeichen für den fahrer im wagen davor. dieser recht unmelodische schellenklang war kurz und zackig, nicht so hingebungsvoll wie das geläut der messdiener während der wandlung in sankt evergislus in plittersdorf. der zug setzte sich schaukelnd und knärzend in bewegung. fand man im unteren wagenbereich der platform keinen platz mehr auf den hölzernen sitzplätzen, konnte man jeweils an beiden enden des wagens über ein schmale treppe auf emporen steigen, worunter sich die räder des wagens befanden. von dort aus ergab sich eine einmalige aussicht über alle fahrgäste des mittleren wagenteils hinweg zur gegenüberliegenden empore. den fahrgästen gegenüber mochte man als kind zuwinken, so schön war dieses hell beleuchtete sälchen auf rädern, in dem viele blanke messingrohre zum festhalten das licht feierlich reflektierten. der emsige schaffner trug an einem kräftigen lederriemen einen stark verchromten geldwechselautomaten um den hals, der beim gehen gegen seinen bauch stieß. in seinem arm hatte der schaffner eine hölzerne kladde, in der die unterschiedlich farbigen fahrscheinblöckchen mit hilfe von gummizügen fixiert waren. mit einem genoppten fingerhut aus grünem gummi zählte der schaffner die benötigten fahrscheine und riss sie vom blöckchen ab: drei mal endstation? ´75 pfennig, bitteschön!´ klack, klack, klack, drückte er mit dem daumen das wechselgeld aus dem automaten.-
wenn ich doch auch nur so etwas zu hause hätte, träumte ich, und bitteschön immer gut gefüllt!

nach zwanzig minuten mussten wir, am rheinuferbahnhof angekommen, aus- und umsteigen. ...

 

... säulen aus rheinischem pinsel-marmor

 

wundergläubig

anzumerken wäre noch, dass ich im laufe der jahre immer besser sehe und dass ich meine brille auch beim autofahren kaum noch trage. dieses phänomen ließ mich überlegen, ob es denn (neben all den medizinischen erklärungen dafür, die ich hier außer acht lassen möchte) eine richtlinie oder einen gebrauchswert dafür gibt, in welchem zeitlichen rahmen wunder erfolgen könnten.
große wunder, so stelle ich es mir vor, geschehen natürlich ex subito: jesus spricht bei der heilung eines kranken am teich betesda:´stehe auf, nimm dein bett und gehe hin´ (joh. 5,1), und das wunder erfolgt direkt, der 38 jahre lang kranke kann aufstehen und gehen, ist sogar direkt belastbar und trägt sein bett.

unauffällige, unspektakuläre wunder dauern möglicherweise etwas länger, dieses wunder hier an mir, so wie ich es bestätigen kann, hat so um die 60 jahre gebraucht.
in guter tradition habe ich dann beim letzten besuch der adelheidis-quelle meine hand unter den wasserstrahl gehalten und meine augen benetzt ...

könnte es dafür vielleicht einen vorwurf blasphemischen handelns geben? ich glaube nicht, bei mir dominierte bei dieser aktion die reine kindliche freude ohne hintergedanken.

 

künstlerisches arbeiten zur thematik

 

...kapellennische mit eicheln

 

... heilbringendes wasser

 

 

experimentelles

während des arbeitens an der adelheidis-serie habe ich mich mit der thematik auf ein wunder warten auseinandergesetzt.

3 beispiele:


intensives ansehen einer heiligenfigur, um eine bewegung an ihr zu erkennen

 

blendung, vibration, irritation: was zu sehen glauben, ein licht- oder sonnenwunder erkennen wollen

 

glaube & freude, installation

 

nimmt man das ganze auf ein wunder warten nicht so ernst, kann man, wie in pützchen, auch ein bisschen spaß dabei haben. das spass an d´r freud´ im glauben, o.ä., ist kein rheinisches wunder, sondern eher normalität.

 


 

weblinks

> http://de.wikipedia.org/wiki/Adelheid_von_Vilich
> http://de.wikipedia.org/wiki/Praterturm

> http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenwunder

 

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