Das Hähnchen im Kopf

In meiner Schulzeit hat mich ein chinesisches Märchen vom Kaiser und einem Tuschemaler, dem vom Kaiser der Auftrag erteilt wurde, seinen schönsten Palasthahn zu malen, sehr beeindruckt.

Der berühmteste Tiermaler des Reiches nahm dankbar den Auftrag des Kaisers an, ließ dann aber jahrelang nichts mehr von sich hören, bis der Kaiser des Wartens müde wurde und sich mit seinem Gefolge zum Atelier des Künstlers auf den Weg machte. Dort angekommen fragte er den Maler, was denn mit dem Auftrag wäre?

Der Maler holte daraufhin seinen besten Pinsel und sein wertvollstes Papier, rührte Tusche an und malte mit einem gelungenen Pinselschwung innerhalb von Sekunden einen wunderschönen Hahn und überreichte das Bild in Ergebenheit dem Kaiser, der das Meisterwerk überrascht aber zu höchst angetan annahm. Nachdem viele Höflichkeiten ausgetauscht waren, fragte der Kaiser nach dem Entgeld und erschrak, als der Maler ihm eine immens hohe Summe nannte, die des Kaisers Vorstellungskraft um vieles überstieg. `Warum ist denn dieses so schnell angefertigte Bild meines Lieblingshahnes so unermesslich teuer ?´, staunte der Kaiser.

Der Künstler bat mit einer tiefen Verbeugung und einer hinweisenden Geste zu den Lagerbereichen seines Ateliers, ihm zu folgen. Vor dem ersten Papierschrank blieb er stehen und öffnete den ersten von zwanzig Schüben. Die Schublade war bis zum Rand mit Tuschemalereien des Lieblingshahns des Kaisers gefüllt. Die zweite Schublade ebenso und so ging es weiter bis zur obersten Schublade, alle waren sie voller gemalter Lieblingshähne des Kaisers.

Auch der Papierschrank daneben und alle weiteren unzähligen Schränke des Lagerbereichs quollen über von Tuschemalereien des Lieblingshahnes.

Als der Kaiser diese Menge an Malereien gesehen hatte, war er zuerst sprachlos, dann dankte er dem Künstler für die Erfüllung seines Wunsches, ließ die Summe sofort begleichen und bat nachdenklich wegen seiner unklugen Frage um Verzeihung.

... und ... alle meine Kölner Kunstprofessoren waren folgsame Gehilfen dieses chinesischen Malers und erzogen uns künstlerisch im Sinne dieses Märchens.

Erfolgreich an der Kunst vorbei?

Du musst an dir arbeiten, bis die Linie sitzt: Zeichnen, zeichnen und nochmal zeichnen. Stunde um Stunde, von morgens bis abends. Dasitzen vor dem Stilleben, das du dir aufgebaut hast, vor dem Blick aus dem Fenster, vor dem ausgestreckten Modell. Zeichnen, bis die Hand von selbst die Linie findet, zeichnen, bis dass die Zeichnung ohne nachzudenken sitzt.

Du musst die Farbe benutzen wie die Tasten einer Klaviatur. Du musst dir der Farbe sicher sein, nicht erst suchen und herumrätseln. Dieser Farbton und kein anderer. Die Farbe muss sitzen, sie muss stimmen: sie muss hell sein, dunkel sein, leuchten, gedämpft sein, die Nuancen müssen den Malgrund bedecken, wie selbstverständlich. Jede Unsicherheit ist sofort zu erkennen, jeder Fehler zerstört die Farbstimmung des Ganzen. Das kommt nicht von selbst: Du musst üben, üben, üben, rund um die Uhr, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Nach vielen Jahren oder Jahrzehnten wirst du dann die Bilder malen, vollkommene Bilder, Bilder ohne Fehler, Bilder, die aus sich selbst heraus stimmen.

So und nicht anders wurde es mir von meinen Lehrern und Professoren beigebracht, Fleiß macht sich bezahlt, macht Karriere. Fest daran glauben und Zeichnung und Bilder anfertigen, zuerst die Atelierecke füllen, dann den Raum, später den zweiten, dann die Wohnung und irgendwann das Haus. Alles voller Kunst, immer weiter, dem hohen Ziel entgegen: Auf den fleißigen wartet der Olymp, die Ausstellung, das Feuilleton, das Museum, Erfolg und Reichtum. Und dann der Geheimtipp: Du musst genug Arbeiten zurückhalten, wenn du als bekannter Künstler endlich dein Werk präsentieren willst, nicht der Glückstreffer zählt, sondern das fleißig und facettenreich gestaltete Gesamtwerk, deine Seelenschau.

Und dann kamen die Einschränkungen: Begabt musst du schon sein. Begabung ist der Zauber des Könnens des Genies, ist das, was du auch in unendlich vielen Stunden nicht lernen kannst. Du kannst nicht durch Üben zum Genie werden. Die glückliche Beseelung ist der Odem der Gottheiten und lässt den, der es hat, in der Vorfahrt des Genies arbeiten. Ein Gestalten auf der Überholspur zum Staunen vieler. Wenn du das nicht hast, strampelst du dich ab für Nichts und wieder Nichts, für das Übersehenwerden am Rande der Spur. Ausstellungen in Schaufenstern von Zoohandlungen, wenn du gut Tiere malen kannst, in Apotheken, wenn du guter Kunde bist und die Sprache auf dein Hobby kommt: Zeigen Sie mal, doch das können sie mal hinhängen, macht sich gut zu der Werbung von Risopront, die haben gerade so eine Aktion, da müssen wir das ganze Schaufenster von Denen übernehmen, aber rechts davon, in der Ecke, das geht. Auch in Praxen, wo du behandelt wirst, kannst du deine Bilder zeigen und so tingelst du bald von Bahnhofskiosk zu Bahnhofskiosk: Kalscheuren, Brühl, Sechtem, Roisdorf, immer am Herzen der Heimat, unser Künstler. Die Lokalpresse lobt dich auf gleicher Seite mit dem ganzen Vereinsspektrum, vielleicht auch mal mit Foto vor deinen Arbeiten oder hinter dem Bürgermeister bei der Eröffnung deiner Ausstellung im Rathausfoyer.

Wann nannten meine Professoren Begriffe wie Kunstmarkt, Sammlungs- und Ausstellungsverhalten, Kunstmarktboom, Kunstsystem, ..., ich glaube nie. Dass Sammler die Preise für die Kunstwerke eines Malers in die Höhe treiben, dass der Quadratmeterpreis eines Bildes dann so boomt, wie der Quadratmeterpreis einer zentralen Baulage in der City einer Metropole, davon wussten sie nichts und dass passte wohl auch nicht in deren gutmenschliches Weltbild vom Künstlertum. Ein Boom von 6.000 € innerhalb weniger Monate auf 350.000 €, das schmeckt mehr nach Aktie und Kapitalfluß als nach einer immensen Steigerung der künstlerischen Leistung, wenn man blauäugig an so etwas überhaupt glauben möchte.

Anerkannte Boomsetter und fest mit dem Kunstmarkt vertäute Kritiklobbyisten, Galeristenseilschaften, Kunst-Investmentberater pushen die Ware Kunst nach geschickt überlegten Strategien, wobei die Gewichtung ihren Ausschlag zum Boomgut, nicht so sehr zur Kunstwertigkeit neigt. Das versuchen dann Kuratoren und Kunsthistoriker mit einem gelungenen kunsthistorischen Stützgerüst zu korrigieren, Event Gestalter treten in Aktion und bieten in arrivierten musealen Ausstellungsbereichen Megaausstellungen an – New York, Dubai, Shanghai -, deren Besucherströme die Finanzströme der ausgestellten Kunst widerspiegeln, das alles um unter dem Deckmantel von Kultur und Bildung die kommerzielle Glut weiter zu schüren.

Neben dem Hauptgeschäft läuft auch der Devotionalienhandel, z.B. mit Prachtalben, Postern, Taschen, mit T-Shirts und Nippes.

Das erste mal, dass mir ´etwas´ auffiel war in den frühen 70er Jahren, als sich im Kölner Wallraf-Richartz-Museum eine Sammlung Kunst der 60er Jahre präsentierte, die auf zumeist amerikanische Malerei setzte: Die Popart zog ein. Museumsbesucher waren gewohnt, die Ausstellungsstücke nach ihrer Künstlerischen Wertigkeit zu bemessen, was auf die Pop-Art bezogen oft schwer war, doch wir lernten auch diese kunsthistorischen Brückenschläge, zwischen z.B. Schwitters und Rauschenberg ließen sich doch Verbindungen herstellen, Dada, Neo-Dada z.B., ach ja, irgendwie mussten dann auch noch Duchammp und Picasso herhalten, damit das Bildungsgewebe hielt.

Das Kuckucksjunge im Nest des WRM wuchs sich aus, wurde immer größer, sprengte zuerst das Nest und dann den Dombereich, der Dom blieb für diesmal stehen, das Museum Ludwig drängte sich aber bestimmend an seine Schultern; und das nur, weil der Museumsinhalt künstlerisch so überragend war; oder wurde auch noch ein anderes Süppchen gekocht?

Macht sich die Qualität einer Kunst bezahlt, die viele Redakteure plötzlich zu verstehen angeben? Warum sind surreal dalíesk verzogene Beine widerspruchslos das Optimum des künstlerisch Erreichbaren? Oder ist es die Mischung aus Kunst und Kommerz, so wie sie auf der Schweizer 100- Franken-Note mit dem Abbild Giacomettis und der Bronzeplastik des Gehenden zu sehen ist, die so fasziniert? Was stellt dieser Geldschein für eine geniale Vorahnung dar, in einem Augenblick, in dem bei einer Versteigerung 74 Millionen Euro für ein Kunstwerk der ehemaligen Dresdner-Bank-Zentrale in Frankfurt bezahlt wurden und im anderen Narrenstreich deutsche Politiker den Sprung über den eigenen Schatten aufzuführen versuchen, um dann einem chrom-irisierenden gut gefüllten Grautier noch einige Dukaten aus Schnauze und Hintern zu leiern. Geld, dass möglicherweise doppelt gestohlen, im oder vor dem Banken Fiasko, um dann als Tatbestand oder Blackhole mit Steuergeldern krisengestopft zu werden.

Am Tage der Hartz-IV-Korrektur, an dem die Karlsruher Richter die Regelsätze z.B. im Bildungswesen (0 Euro für einen sinnvollen Schulfarbkasten, einen besseren Pinsel und höherwertiges Malpapier, als Beispiel) korrigieren sollten, geschah nichts, der Ball wurde mit Belehrungen (Kinder sind keine Erwachsene) zurückgespielt auf Politiker, die ihrerseits devot zu direktem und schnell korrigierendem Handeln Bereitschaft erklärten.

Ich selbst neige inzwischen dazu, Kunst in ihrer eigenen Wertigkeit zu sehen, sie von Parallel-Werten und -Welten zu befreien, sie als künstlerische und kulturelle Leistung per se darzustellen.

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Papierkorb:

Verschiedene sogenannte gesellschaftsrelevante Institutionen, vom Museum, Bundeskanzleramt bis hin zum Bundesligaverein, folgen dem Goldrausch auf seinem Weg, springen auf das Trittbrett, nicht so sehr der Kunst wegen, eher aus einem erhofften Imagegewinn und einer erhofften Kapitalsteigerung an der Aktie Kunst.

Der Boomsetter fährt seinen Maserati zu schnell und muss einen Monat aussetzen.

 

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