neues fenster, alte aussicht

 

protokoll einer kunst- und fotosession mit hans-gerd-weise am 16.09.07 in köln

aktuelle arbeitsfassung

 

gerade aus dem im urindunst der samstagnacht verbleibenden parkhausaufgang an der überwachungskamera vorbei auf die straße getreten, begrüßt mich der universal player/akkordionspieler mit einer sentimental taiga journey. ob vor dem supermarkt an der ostspanischen mittelmeerküste, in der montagne sainte victoire oder hier, sie scheinen hinter mir her zu sein, unendliche scharen von straßenmusikanten fordern bezahlung. durch die lästige u-bahn baustelle winde ich mich zur hinteren fassade des römisch-germanischen museums, die römischen ausstellungsstücke am fassadenregal scheinen sich zu lichten, ein weiterer kölner selbstbedienungsladen?

auf der domplatte digitalisiert sich eine japanische touristengruppe gegenseitig mit einem älteren herrn in der aufmachung eines englischen gentleman des ausgehenden neunzehnten jahrhunderts, möglicherweise einem kölschen doorman eines nahegelegenen hotels.

ich blicke zum richter-fenster über dem süd-portal hoch, wie nichtssagend können doch glasfenster von außen sein, symbolik hin und her.

weiterhin unsensibel schmiegt sich das römisch-germanische museum viel zu dicht und fantasielos an den dom heran, auch hier scheint die architektonische beglückungsfrist abgelaufen.

das gerüst lässt mich an die münsteraner wiedertäufer-käfige von st. Lamberti denken. wen könnte man in köln dareinstecken?

die vibration und lautstärke des vorhochamtlichen zehn-uhr-geläutes erschlägt nicht nur hörgeschädigte, es lässt die indios vor dem hauptportal des doms ihre panflöten klanglich und rhythmisch daneben rutschen, keine chance.

im museum ludwig treffe ich mich um 10 uhr mit hans-gerd weise. als um 10 uhr das museum öffnet, findet ein rush auf die jetzt frei zugänglichen museumstoiletten statt.

wir beschließen, uns zuerst im dom das richter-fenster anzusehen.
zwei kathedralbettler sitzen mit ausgestreckten beinen links und rechts im urin des seitenportals und erzählen sich laut lachend zwischen den in den dom eintreten besuchern hindurch ihre erlebnisse, kein cent fällt in ihre aufgestellten büchsen.

der klang der panflöten gleitet beim betreten der kathedrale weich über in den orgelklang, eine große menge von gläubigen folgt dem hochamt, die blicke der besucher und die ausrichtungen der blitzenden digitalcameras folgen dem ritus im altarbereich.
weg und blick zum
großgepixelten richter-fenster sind versperrt, kräftige kölner domschweizer lassen alle hoffnung auf künstlerische alternativeinsegnung vergessen, man kann es ja später noch einmal versuchen.

start des alternativprogramms

am von uns oft bestaunten foto lambertin knüssel-fenster in der ludwigstraße vorbei zum neu eröffneten diözesanmuseum kolumba. dort suchen gutgekleidete besucher den richtigen betrachtungswinkel zum herausgeputzten neuen museum, es öffnet leider erst später nach den hochämtern, die madonna in den trümmern jedoch empfängt schon, der versprochene blick in kölns historische schichtungen rechts neben dem eingang zur jetzigen museumskapelle bleibt unverständlicherweise im dunkel.

in der kapelle suchen besucher umständlich das geld für ihre kerzchen zusammen und lassen es kleinsortiert in den opferstock fallen. ich habe noch nie gehört, dass das irgendjemanden bei der andacht stören könnte.

> zum kolumba erlebnis von dagmar eckermeier gefallsucht

als besuchs-alternative bleiben uns die mir noch unbekannte farmer-boys sammlung im museum für angewandte kunst, aber auch die pilgerschaft ins stille viertel zu sankt kunibert, schnell erreichbar hinter dem hauptbahnhof.

st. kunibert

der bahnhof versinkt im sonntäglichen chaos, die beschallung ist ähnlich laut wie auf dem roncalli platz, nach synthetischem glockenklang werden informationen auf die pulsierende masse gedrückt, ein gespräch ist unmöglich.

an hotels hinter dem bahnhof entlang geht es weiter, touristen warten neben ihren koffern auf den weiteren organisationsablauf. ich gerate zwischen reisende, die mit trollis auf ein taxi zudrängen, werde als hindernis eingestuft und mit bösen blicken bedacht. oh, auch hier dieser heilige ernst in dem ehedem so humorigen köln.

vor sankt kunibert läd das restviertel mit seinen schattigen bänken zum verweilen ein. zwischen kaugummi, kronkorken, erbsenpistolen kügelchen, kippen und taubenkot erzählen wir uns unsere kleinen neuigkeiten. ein mit seinem trolli vorbeigehender reisender fragt, ob irgendwo lidl hier aufhätte. sonntags noch nicht, antworten wir. auf den hinweis, dass in richtung bahnhof kioske geöffnet hätten, zieht er mit einem rechthaberischen kommentar missmutig weiter.
ein junger mann wird mit augenverletzungen von zwei begleitern fürsorglich vorbeigeführt, wohl auf dem rückweg von der behandlung im st. marien krankenhaus hinter uns. ich muss an brueghel denken.

zwischen kirche und rhein findet sich ein bereich, in dem wir zwischen baustellen, wenigen passanten und parkplätze suchenden autos fotografisch tätig werden können.

in den mit einem anti-moscheebau-sticker verschandelten papierkorb lässt ein sonntäglich gekleidetes ältereres paar verschämt eine leere rotweinflasche gleiten, ein vorbeifahrender autofahrer stört sich griesgrämig an hans-gerd weise, der seine kamera scheinbar zu weit auf der straße aufgebaut hat, ein liebespaar turtelt aufdringlich fröhlich in ständiger gegenseitiger berührung vorbei.

ich freue mich über die fotos des narrativen zeitungsmülls, der sich auf einer bank leicht im wind bewegt, über fritz den taliban und daum den jasager.

sex, kitsch, intoleranz und schmuddel verbinden sich an dieser stelle zum üblichen stadt ambiente, zu kölns visitenkarte?


mein arbeitsergebnis aus diesem bereich

parkbank an st. kunibert
technische daten: rolleiflex, zeiss-opton tessar, agfa apx 100, 120er rollfilm

 


ausstellungspräsentation als print 2,90 x 2,20 meter


hans-gerd weise arbeitet im baustellenbereich unterhalb von st. kunibert, hier bei fotografischem kniefall.

pilger zur kunst: hans-gerd weise

zurück zum breslauer platz kreuzen unseren weg ein beim handy telefonieren wichtig gestikulierender junger mann mit seinem hinter ihm her stolzierenden showgirl, in highheels stiefeln und minirock. wir überlegen, worin sich das erscheinungsbild dieser jungen frau von dem der prostituierten an der köln-brühler landstraße unterscheidet.

neben dem hochaltarartigen portal des rückwärtigen eingangs der ehemaligen reichsbahndirektion betätigt sich in einem schlecht einblickbaren containerwinkel ein zehnjähriger an seinem hoseninhalt, zwei etwas ältere jungs schauen angeregt belustigt zu.

je näher wir zu musical dome - kölns misslungener beitrag zu schlauchbootdesign und wegwerfarchitektur in bester zentraler stadtlage - und bahnhof kommen, um so intensiver wird der uringeruch. leute zwängen sich zwischen herumliegendem unrat aus haltenden autos heraus und ziehen ihre trollis durch die verlaufenen urinpfützen, dazwischen wird an einem imbiss bereits im stehen gegessen.

durch das sonntägliche gewühl der hauptbahnhofs fast food-colonaden, im pizzagetunten frittengeruch, geht unser weg über die neue nichtssagende freitreppe, im erscheinungsbild bereits verdreckt wie die alte, kaum zu unterscheiden, zum dom. dort schlägt wegen der nächsten messe unser zweiter versuch fehl, sich dem richterfenster in kollegialer ehrfurcht zu nähern, denn, memento: der dom ist primär zu ehren gottes erbaut.

später, im parkdeck der philhamonie endet die fotosession in bizarr harniger kölner unterwelt.

vorschlag: mehr rund um die uhr nutzbare bedürfnisbereiche, ständige desinfektion und müllentfernung.

wo sind die kardinalstugenden neuzeitlicher hygiene?

ich war in köln, aber wo ist köln geblieben? (zitat)

p.s.

zum hintergrundmotiv dieser seite:
kästchenausmalen ist seit altersher (nicht nur) unter kölns schulkindern während langweiliger unterrichtsstunden eine heissgeliebte beschäftigung

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