4. august 2006


ein sommertag in rockenfeld

nicht ganz so warm wie im rheintal ...

ein frischer wind lässt auf 300 meter westerwaldhöhe aufatmen: hans-gerd weise und ich wollen einen sommertag in der ruhe der august-sander-landschaft verbringen und die stimmung des plateaus mit alten fotoapparaten festhalten:


anatomie einer begebenheit
mit instrumentarium photographicum

fotografisches arbeiten
gegen den zeitgeist



hans-gerd weise arbeitet mit einer meopta großformat kamera aus den vierzigern, ich mit einer rodenstock clarovid 2, einer mittelformat kamera aus den dreißigern, gebaut bei welta in freital.

gleichzeitig arbeiten wir an einer digitalen dokumentation für eine spätere ausstellung,
eine installation von mir entsteht im bereich des kriegerehrenmals.

die vielen obstbäume hängen voller früchte und die gedanken an süßes obst nach dieser langen wärmeperiode werden bitter enttäuscht: äpfel, birnen und pflaumen sind winzig und absolut unreif, so dass es hier, wenn überhaupt, frisches obst erst im herbst zu essen gab.

eine friedliche kuhherde findet sich ein und zieht nach ausführlicher auseinandersetzung mit uns auf der großen weide weiter.

aus der überwucherten trümmerhalde eines hofbereichs ragt der kühlergrill rest eines renaults R16 hervor, nach internet bestimmung von 1966.

..

eine ansammlung von tierkiefern daneben

wenn man die überwucherten halden verlässt, gerät man in das schussfeld vieler hochsitze, die von mir als bedrohung empfunden werden und die erinnerung an die ehemalige zonengrenze wachhalten.

..

der weg führt in einen alten buchenwald, zwei rehe laufen aus dem unterholz davon.
ich finde einen alten, in die rinde einer buche eingeschnittenen liebesbeweis: liebe in rockenfeld.

ein turnerdenkmal von 1924 unter hoher deutscher eiche in einer zeit des möglichen niedergangs eventueller ethischer werte nicht nur des deutschen sports, hat mich auf der rückfahrt nach rheinbrohl sehr gerührt. auf dem fahnenfetzen und dem stein sind die 4F zu lesen: frisch, fromm, fröhlich, frei, ... was trifft davon noch heute zu?

als wir später durch rheinbrohl gehen, empfinden wir nach der einsamkeit und verlassenheit rockenfelds das städtchen mit seinen sauberen glatten baumarktfassaden und der kitschigen römer-limes-malerei mit asterix-und-obelix-anklängen sehr befremdlich, wahrscheinlich derart, wie frühere bewohner von rockenfeld bei ihren besuchen rheinbrohl auch empfunden haben.

vor rockenfeld: rheinbrohl 8km


beschreibung der installation

links im baum neben dem eingang des kriegerehrenmals

an verschiedenen stellen des ehemaligen dorfes habe ich von bäumen umwachsenen draht/stacheldraht gefunden, den ich mit einer aus einer trümmerhalde gezogenen unzerstörten alten colaflasche, die ein untypisches innenleben aus blättern, käfern, würmern, moosen, algen und verwesung aufweist, kombiniere.
dabei denke ich an die vergessenen toten soldaten nicht nur rockenfelds, auch an die lebenden und besonders an die in ihrem kriegsschicksal mit dem schicksal der soldaten verwobenen kinder, denen ich die installation widtme, bis sie der zerstörung anheim fällt

cocacola flaschen und ihre plagiate, ein leitfossil unserer zeit, seit etwa 1916, mit verschiedenen durchaus konträren inhaltlichen bedeutungsebenen


Gedanken beim filmentwickeln am 8.8.2006

1

während ich die filme entwickel, wird mir bewusst, dass agfa seine produktion eingestellt hat, dass mein rollfilm agfa apx 100 in der vorliegenden qualität wohl nicht mehr produziert werden wird, ebenso nicht mehr die chemischen laborflüssigkeiten, z.b. mein filmentwickler rodinal, mit dem ich immer gerne gearbeitet habe.
der name agfa wird sicher durch verkauf der namensrechte erhalten bleiben, was wird aber aus den hochstehenden produkten werden?
kodak in chalon geht es wohl nicht besser, wie mir französische freunde aus der region vor einem jahr erzählten.

2

warum musste rockenfeld überhaupt planiert werden?
was für ein sinn und welche interessen standen dahinter?
ein kleines dorf konnte doch sicher auch erhalten bleiben, als historisches dokument für uns und nachfolgende generationen.
auf manchen fotos sieht man fachwerkhäuser, die mich an exemplare aus dem freilichtmuseum kommern erinnern.
dabei denke ich an mein godesberg, wo zur gleichen zeit die reste der altstadt, die den bombenhagel des krieges überstanden hatten, dem waschbeton des altstadtcenters geopfert wurden.
welche dummheit und versündigung an der allgemeinheit!
ich fände es schön, wenn man an ort und stelle in rockenfeld in einem wiedererrichteten fachwerkhaus der region zumindest eine historische fotodokumentation, ein modell des dorfes, evtl. auch authentische gegenstände aus dem alltagsleben zeigen könnte.
wie spiegelte sich der lauf der geschichte in rockenfeld wieder?
war er exemplarisch für das ganze land?

3

die entwickelten negative sind von bestechender klarheit, obwohl die rodenstock kamera meines großvaters, mit der ich gearbeitet habe, seit ende der fünfziger jahre nicht mehr in gebrauch war.
wird meine digitale nikon das schaffen?

4

bei philippi in rockenfeld sehen wir uns wieder, auf ein bier, eine kräftige brotzeit und einen schabau; würde mich freuen, wenn ihr alle kommen könntet!


kommentierte veröffentlichung einiger meiner gescannten, teilweise umgekehrten rollfilmnegative 6x9 von der fotosession in rockenfeld

die fotos atmen die stimmung der dreißiger und erscheinen mir wie ein gruß meines großvaters.

dank der rehe, kühe, wildschweine und unserer anwesenheit, zeigt sich an diesem tag rockenfeld nicht nur als gedenkstätte und schussfeld, sondern auch als lebens- und arbeitsstätte.

trotz des imperativen verbots mit schlagbaum, kreis & hinweisschild hält uns rockenfeld gefangen und wir zählen uns inzwischen zu seinen neubürgern.
wie wäre es eigentlich mit einer städtepartnerschaft zwischen rockenfeld und new york?


 

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