01. 2014
köln


erlebtes auf einem weg durch köln-ehrenfeld
mit hans-gerd weise

texte und fotos in spiralheftung A4


 

Madonna an der Regenrinne

 

 

Die Straße, die von der Hauptstraße abführt, ist lang und schmal, vollgeparkt, natürlich. Wenn man mit dem Auto durch das Viertel fährt, meint man alles zu sehen, aber das stimmt nicht. Der, sagen wir einmal, Mikrokosmos einer Straße erschließt sich einem erst, wenn man mit Muße und Zeit offenen Auges die Straße entlang schlendert. Viele Sticker an Laternenmasten, Haustürbereichen und sämtlichen glatten Oberflächen sind schon eine interessante Sammel- und Fotografierthematik, mit der sich z.B. ein uns entgegen-kommender, das Viertel durchstreifender Mann mit Kamera, auseinandersetzt. Der kleine Piaggio LKW im Zwergenformat, den wir etwas später neben einem akkurat beschnittenen Baum vor einer Mauer antreffen, hat es mir angetan. Er könnte in seiner kuriosen Bescheidenheit genauso gut in Tarragona oder Neapel stehen. Viele eckige Beete, dem Asphalt abgerungen um Bäume aufzunehmen, sind nicht nur Hundeklo, sondern zeigen auch kleine, liebevolle Gartenanpflanzungen und Deko-Accessoirs. An manchen Fassaden hängen noch vertrocknete Maibaumreste, die an die Vergänglichkeit manch stürmischer Mai-Liebe denken lassen.

Es ist interessant, zu lesen, was so alles in den dekorierten, manchmal auch von staubiger Dekadenz umhüllten Fenstern und Schaufenstern zu sehen ist. Das alte Schwarz-Weiß-Foto eines Gartentores von Alice oder Arno Schmidt liegt ungeschützt in einer Auslage im Tageslicht und erinnert mich in seiner bedauernswerten Tristesse an Fotos vom Eingangstor des Judenfriedhofs in Dernau an der Ahr. Verblichene Schriftzüge über alten Toreinfahrten sind kaum noch entzifferbar und weisen auf alte Nutzungen vergangener Generationen hin. Eine auf einem Fensterbrett ruhende Katze bemerkt uns, steht auf, reckt sich hinter der Glasscheibe und freut sich über unsere Ansprache. Sie ist nicht etwa alleine, durch die Gardine kann man im Hintergrund einen riesigen Flachbildschirm in voller Aktion einer Daily Soap sehen. Unterschiedliche Firmenschilder und Logos lassen einen staunen: „Hättest du gedacht, dass es hier so etwas gibt?“ Die Frage beinhaltet schon die Antwort: „Natürlich nicht!“

An einer kleinen Kreuzung sind an einer Hausfassade Fahrräder abgestellt, der Blick wandert die Fassade hoch. Jenseits der erreichbaren Graffiti Höhe wird die Hauswand sauber, verschiedene Schilder sind zu sehen und ganz hoch oben, fast schon an der Regenrinne, ziert eine kleine Madonna in einer Nische die Hausecke an der Stelle, wo eigentlich das Fallrohr die Regenmengen zu Boden leiten sollte. Man wollte die Madonna aus Pietät wohl nicht entfernen, sie sozusagen der Funktionalität opfern, man musste eine Lösung finden. Und so hat man ganz einfach das Fallrohr in rechtwinkliger Führung um die Madonna herumgeleitet, um anschließend wieder an zugeordneter Stelle zu Boden zu gehen. Eine vorbeikommende Frau wartet freundlich, bis ich mein Foto gemacht habe, um dann weiterzugehen. Die Zentralperspektive der Straße führt bis zur Hauptstraße und wird dort von einem eckigen Geschäfts- und Wohnhaus beendet.

Etwas weiter stehen vor sich hin rostende Klein-Motorräder von Simson. An einem Kabelzug hängt ein abgeschraubtes Bremsteil zu Boden. Wir gedenken der DDR oder ´DDR´. Das Olivgrün eines Mopeds lässt uns an die damalige Bedrohung des Westens durch solch ein Kriegsgerät denken.

Über leere Spielplatzbereiche gelangen wir an Fassadenmalereien vorbei in die Tiefe des Viertels. Eine junge Mutter schaukelt übertrieben wild mit ihrem Kind auf einer Spiralwippe. Ältere Wandmalereien erscheinen durchdacht komponiert und meisterlich gemalt in dezenteren, teilweise bereits verblichen Farben. Neue Fassadengestaltungen versuchen dahingegen knallig bunt gegen die überall anzutreffenden Graffitis anzukämpfen.

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Uhr&Zeit

Zur hängen- und stehengebliebenen Fassadenuhr am Haus der Madonna an der Regenrinne

Apokalypse ...

Einige Uhren von Hiroshima-Bewohnern sind im finalen Feuersturm des ersten Atombombenabwurfs der Geschichte am 6. August 1945 erhalten geblieben. Sie zeigen alle 8 Uhr 15 an, der Augenblick, in dem die Bombe, sarkastisch von den Tätern/Vätern Little Boy genannt, das Verderben brachte.

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Stillstand, Tod, Ende.

Mehrere Male sind mir auf meinen Wegen Fassadenuhren begegnet, die stillstanden und mir eine zumeist emotionale Aussage vermittelten.

In Tortosa (Spanien) hängt in der Nähe des Mahnmals zum Gedenken an die Opfer der Schlacht am Ebro eine Uhr im Elend einer morbiden Fassade. Seit Jahrzehnten zeigt sie dieselbe Zeit an und erinnert mich jedes Mal, wenn ich unter ihr entlang gehe, an die unzähligen Verbrechen, die im Spanischen Bürgerkrieg begangen wurden. Der Flughafen der Legion Condor liegt nur wenige Kilometer entfernt in La Cenia, von wo aus viele Städte am Ebro unter deutscher Regie bombardiert wurden.

 

 

Die Uhr an der Fassade der ehemaligen Eisenwarenhandlung Bosen in Köln Sülz lässt mich über unsere Baumarkt-Kultur nachdenken und vermittelt mir in ihrem Stillstand einen Gedanken an das Ende der Vielfalt und Kultur der ehemaligen Einzelhandelsgeschäfte Kölns. Ich denke an die Geschäfte, die ich noch kennenlernen durfte, an Wolkenaer, wo ich meine Malutensilien erstand, an die Eisenwarenhandlung Schaudinn an der Ecke Düsseldorferstraße/ Mülheimer Freiheit und das gegenüberliegende Zigarrengeschäft Puhl mit der beeindruckenden Gründerzeit-Einrichtung.

Die stehende Fassadenuhr in Ehrenfeld lässt mich sowohl an den ehemaligen Glanz, als auch an das oftmals jetzige Elend vieler Kölner Stadtteile denken.

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venloer stroß

neben dem ewigen licht von st josef leuchtet
zu süßem tee das ewige licht des fernsehers
im männercafé ohne frauen (ciao bella geh nach hause)
die großen schüsseln auf dem flachdach
ausgerichtet zum himmel früher von helios bestrahlt

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übers sonnenstudio lacht jemand aus dem senegal
römer germanen tauben franzosen kölsche jecke
alle sind schon vorbeigezogen

... und das zugende ist noch lange nicht in sicht

 




der inhalt von
erlebtes auf einem weg durch köln-ehrenfeld
mit hans-gerd weise
besteht aus vier texten, einem ´gedicht´ und acht fotos

spiralheftung A4

 



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