rainer maria jaenicke

 

das lachen der weinkönigin

der parkplatz liegt zur talaussicht ausgerichtet an einer recht engen serpentinenstraße, über die nicht gerade wenige fahrzeuge viel zu schnell zu berg und zu tal fahren. das zu schnelle fällt mir auf, als unsere gruppe aus dem wagen ausgestiegen ist und wir auf dem parkplatz vor dem fahrzeug stehen. der verkehr zieht so lautstark an uns vorbei, dass man zeit braucht, sich an den geräuschpegel zu gewöhnen. auf der parkbucht befindet sich eine um ein paar stufen erhöhte aussichtsplattform, so dass man von dort gut über einen maschendrahtzaun in die tiefe und weite sehen kann.

 

 

es eröffnet sich zum tal hin über die regelmäßigen reihungen unzähliger weinstöcke hinweg ein weites panorama. die weinstöcke sind alle in ähnlicher form beschnitten und gebunden, eine riesige armee in akkurater aufstellung. tief unten im tal liegt der ort, sauber und adrett eingebettet. neben der plattform lachen uns von einer großen werbewand einer lokalen wein- und tourismusagentur zwei hübsche weinköniginnen entgegen, die eine brünett, die andere blond, die eine vom letzten jahr, die andere von dieser saison.

an den äußersten straßenrand gedrückt folgen wir in ständiger angst, angefahren zu werden, der straße zu tal. nach weniger als hundert metern öffnet sich zum berg hin eine kleine ausbuchtung, von dichtem wald umstanden. von der höhergelegenen straße lässt sich der bereich, der einen kleinen friedhof aufnimmt, einsehen: wenige gräber, unregelmäßig angeordnet, schiefe grabsteine.

 

 

mit kräftigem ruckeln lässt sich das verklemmte törchen zum friedhof unter schwierigkeiten öffnen. dann betritt man über vermoosten boden ein kurzes, gerades wegstück, das zu den gräbern führt. die oberflächen der älteren grabsteine zersetzen sich, lösen sich auf, ehedem eingemeißelte hebräische schriftzeichen ziehen sich wie eine textur über die oberflächen.

 

 

auf den oberkanten vieler grabsteine liegen in moos eingebettete kieselsteine, die ein nichtvergessenhaben und einen besuch symbolisieren.

 

 

ein jüngerer grabstein lässt erahnen, dass dies ein erinnerungsstein für eine familie ist, deren hier genannten mitglieder alle 1942 deportiert und ermordet wurden. ihr gemeinsames lebens- und todesschicksal gibt keine rätsel auf.

dieser friedhof liegt weit vom oben genannten ort entfernt, ist in seiner höhenlage und verkehrsumflossenheit nur mühsam und unter gefährdungen erreichbar und spiegelt eine andauernde ausgrenzung der hier begrabenen nachfühlbar wider.

auf dem unteren foto sieht man den blick vom friedhofstor zur straße. die autos rasen in kopfhöhe an einem vorbei. die geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h stellt nach meiner meinung eine verhöhnung der friedhofsbesucher dar.

 

 

rückblickend kann ich die lage des friedhofs als tiefpunkt aus verlassenheit und ausgrenzung bezeichnen.

bei der bearbeitung meiner panoramafotos, die auf dem friedhof entstanden sind, entscheide ich mich später, zu hause, von einer veröffentlichung abzusehen, weil diese fotos der tragik des ortes nicht gerecht würden. die fotos könnten im sinne eines romantisierenden panoramaposters für zu ´schön´ empfunden werden, und damit diesen ort grundfalsch darstellen.

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nach wunderbarem weg an der kapelle der heiligen katharina vorbei, deren folterwerkzeug ihres martyriums das rad war, erreichen wir nach steilem anstieg auf hohem, zu den seiten abfallendem bergkamm, einen grillplatz mit frei zugänglicher hütte. da wo heute bei outdoor-partys ein grillmeister am schwenkgrill die feiernden mit saftigem grillgut versorgt, war im 16. jahrhundert die hinrichtungsstätte von zu hexen auserkorenen frauen. das mit folter aus ihnen herausgepresste geständnis, es wild mit dem bocksfüßigen getrieben zu haben, war das, was kirchliche und weltliche gerichtsherren hören wollten. ein urteil stand schon vor der gerichtsverhandlung fest: die überführte hexe musste unverzüglich gehängt und anschließend verbrannt werden. alle anwohner der region wurden zum zusehen verpflichtet, um weiterhin zeugnis über die folgen der bösen tat abzulegen.

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während ich diesen text schreibe, wird in der nachrichtensendung im radio neben mir vom 20. jahrestag des brandanschlags von solingen berichtet, dem 5 frauen und mädchen zum opfer fielen.

den ganzen tag über geht mir nicht der text und die melodie des alten degenhardt-liedes aus dem sinn: ´ja, dieses deutschland meine ich, wo wir uns finden, unter den linden und auch noch anderswo ...´

 

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