Gefallsucht

von Dagmar Eckermeier


illustration coloniars

 

Mein letzter Sturz liegt schon einige Jahre zurück. Auf dem hubbeligen Pflaster vor Groß St. Martin war ich trotz `vernünftiger Schuhe’ gestolpert, hatte mich im Fallen aber gedreht und landete folglich nicht auf dem Gesicht sondern auf der linken Hüfte. Ich war so stolz auf mein unvermutetes Reaktionsvermögen, dass ich erwog, mit über 60 doch noch den Führerschein zu machen. Ob mir die Hüfte den missglückten Salto verübelt hat, wage ich nicht zu beurteilen – sie piesackte mich jedenfalls neun Monate lang höchst intensiv, bis ich meine Gegenwehr aufgab und sie durch ein sehr schmuckes Modell aus Titan ersetzen ließ.

Zwar finde ich die Vorstellung einer Endoprothese noch immer grotesk, doch bin ich wieder so schmerzfrei, mobil und glücklich, dass ich den ersten Geburtstag der neuen Hüfte angemessen feiern wollte. Zunächst brachte ich den guten Geistern auf meiner Station viel Süßes vorbei, zündete Kerzen in der Krankenhaus-Kapelle und mir eine Zigarette im Krankenhaus-Garten an. Danach begab ich mich zum Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Kolumba also, das mir von so begeisterten wie wohlmeinenden Menschen dringend empfohlen worden war – zu der Zeit, als ich mir selbst in der Wohnung jeden Schritt sorgfältig überlegte und kaum einen vor die Tür setzen konnte.

Dies war bereits mein zweiter Versuch, denn als ich einmal ungewohnt früh aufgestanden war und um 11h vor der Museumstür stand, war diese noch eine Stunde lang verschlossen. Für einen notorischen Langschläfer hat diese Ironie fast tragische Ausmaße – aber an einem frühen Donnerstagnachmittag stand meinem Einlass nun nichts im Wege. (An einem Dienstag wäre ich abermals vergeblich erschienen, weil Kolumba wohl das einzige Museum auf der großen weiten Kunstwelt ist, das man montags besuchen kann.)

Mein erster Weg führte wie überall zur Toilette. Hier gab es nur eine, doch die war groß und behindertengerecht – lobenswert! Im allgemeinen Jubel bei der Eröffnung des Museums hatte ich bereits erfahren, dass die Kunstwerke nicht beschriftet sind; so war ich nicht überrascht, nun ein Oktavheft in die Hand gedrückt zu bekommen: den Kurzführer. Heiter stieg ich ein paar Stufen hoch, bog um die Ecke – und befand mich am Fuß einer schier endlosen Treppe ohne Absätze. Sie ist so schlicht und edel, dass sie ein Postkartenmotiv darstellt. Auf der Karte kann man zwar die Stufen zählen, etwa 30, doch sie gibt nicht wieder, wie schmal und bedrückend dieses Gebilde zwischen zwei hohen grauen Wänden ist.

Meiner vorbildlichen neuen Hüfte war dieser Anblick gleichgültig – aber meine Arthrose-Knie schluckten entsetzt. Trotzdem konnten sie meinem eitlen Kopf nicht vermitteln, kehrt zu machen und einen Aufzug zu suchen. Also schleppte ich mein Übergewicht keuchend nach oben, wo zum Glück gleich eine der putzigen braunen Lederbänke bereitstand. Sie erinnerte mich an einen Bock ohne Beine (nicht FC, sondern Turnhalle), war aber bequemer.

Nachdem ich wieder im Vollbesitz meines Atems war, machte ich mich auf die Suche nach den diskret angebrachten Raum-Nummern, um meinen Kurzführer sinnvoll benutzen zu können. Meine Blicke waren überall – nur nicht auf dem Fußboden, der durch kleine Stufen zwischen den Räumen überraschte, die zum Stolpern oder Wegknicken einluden. Es hätte wohl die Ästhetik der Grautöne empfindlich gestört, diese Schwellen in einer Kontrastfarbe zu markieren – wobei ich gar keine Neonfarben oder schwarz-gelbe Streifen verlange. Immerhin hatte sich aber jemand Gedanken gemacht; zu Hause entdeckte ich auf der Rückseite des Heftchens den fett gedruckten Hinweis:

Bitte beachten Sie die mit der Architektur des Gebäudes verbundenen Stufen und Schwellen. Seien Sie daher vorsichtig beim Betreten und Verlassen der Ausstellungsräume.

Vollends ergriffen war ich dann von der bis dahin ebenfalls ignorierten ersten Seite des Kurzführers, als ich las: „In der Abfolge der Räume leitet Sie dieses Heft durch einen Kosmos der Möglichkeiten; unterstützt durch die raumschaffende Architektur des Neubaus, die auch durch ungewohnte Stufen und Schwellen betont wird.“ Hier wurde auf den Punkt gebracht, was ich nach Entdeckung der Stolperfallen empfunden hatte: Das Heft hat sich mit den Schwellen und Stufen verschworen, um den Besucher stürzen zu lassen! Und die raumschaffende Architektur hat diese Verschwörung angezettelt!

Obwohl mich, wie erwähnt, schon eine Unebenheit im Pflaster zu Fall bringen kann, habe ich den Verschwörern von Kolumba jedoch nicht den Gefallen getan, beim Kunstgenuss zu Boden zu gehen (oder eher plumpsen). Am Geburtstag meiner neuen Hüfte wäre das einfach zu viel der Ironie gewesen.

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